Vorbemerkung
In diesem Buch wollen wir uns mit einem aus unserer Sicht bedeutsamen Handwerk der Psychotherapie befassen, nämlich der Nutzung der Imagination. Wir halten die Nutzung von Imaginationen für besonders ressourcenvoll. Sie sind u.a. positiv mit Selbstwirksamkeits- sowie salutogenetischen Erwartungen im Sinne Antonovskys (1997) korreliert. Es wird zu zeigen sein, wie sehr das eine jeweils für das andere als förderlich für die psychische Gesundheit angesehen werden kann. Diesen Erkenntnissen folgend, wollen wir damit allen PsychotherapeutInnen Mut machen, imaginative Elemente in einer Psychotherapie zu erkennen und zu nutzen. Insbesondere zukunftsorientierte und reflektierende Imaginationen korrelieren positiv mit Selbstwirksamkeitserwartungen, woraus sich zwanglos ergibt, zukunftsorientierte und reflektierende Imaginationen zur möglichen Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung von PatientInnen in die psychotherapeutische Behandlung zu integrieren. Ähnliches gilt auch für sinnstiftende, das Kohärenzerleben steigernde Imaginationen (vgl. Kap. 2).
Wenn man sich imaginative Ansätze genau ansieht, erkennt man, in wie vielen Punkten sich die aus verschiedenen Schulen stammenden Ansätze ergänzen, ja, teilweise auch ähneln. Uns ist jedoch zusätzlich aufgefallen, dass viele als wirksam geltende Prinzipien verschiedener Schulen bei genauer Betrachtung mit Vorstellungskraft zu tun haben und ohne diese nicht gelingen würden. Unser Imaginationsbegriff geht daher weit über das hinaus, was als imaginative Techniken bekannt ist (s. vor allem Kap. 3).
Uns interessiert vor allem die Frage, welche Imaginationen haben sich als hilfreich und heilsam erwiesen und wie kann man diese anregen? Die eine von uns (L.R.) arbeitet seit 1977, als sie das Autogene Training (AT) intensiv studierte, insbesondere die Oberstufe des AT, mit Imaginationen, die andere (J.S.) hat sich im Rahmen ihres Studiums für die imaginative Arbeit begeistert und eine Diplomarbeit darüber geschrieben.
Wir werden einige therapeutische Ansätze, die überwiegend mit Imagination arbeiten, kurz in einem der letzten Kapitel (Kap. 6) des Buches darstellen. Hier geht es uns darum, Unterschiede und Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Häufig scheint es mehr eine Frage der theoretischen Grundorientierung und Betrachtungsweise zu sein, wie Wirkfaktoren beschrieben werden, während in der Praxis sich vieles nahekommt, wenn nicht sogar identisch zu sein scheint.
Unsere Fallbeispiele sind bewusst Vignetten, da wir fast immer so arbeiten, dass wir uns zwar einer von heilsamen Imaginationen geprägten Grundhaltung bedienen –quasi unser Lieblingsinstrument –, aber doch auch viele andere Instrumente nutzen. Letzten Endes erscheint uns Psychotherapie wie das Erschaffen einer Symphonie, an der sehr viele verschiedene Stimmen beteiligt sind. Es gibt Tempowechsel, Wechsel in den Tonarten, in den Melodien, in den Harmonien, das alles gehört am Ende zusammen!
Es ist noch nicht lange her, da meinten die meisten PsychotherapeutInnen, Imagination zu verwenden sei eher etwas „Esoterisches“. Erst nach der Jahrtausendwende veränderte sich diese Einstellung, insbesondere durch die Hirnforschung, die heute verstärkt davon ausgeht, dass das, was wir uns vorstellen, ähnliche Wirkung hat, wie das, was wir denken oder tun. Ein grundlegendes und sich für die Nutzung von Imagination engagierendes Werk war das Buch von Singer und Pope, das auf Englisch bereits 1978 erschienen ist: “The Power of Human Imagination”, ein bahnbrechendes Werk, auf das wir uns immer noch beziehen können.
Wir wollen in diesem Buch einige Studien vorstellen, die im Rahmen von Diplomarbeiten an der Universität Klagenfurt die Wirksamkeit von Imaginationen empirisch belegt haben (s. Kap. 5), und wir möchten über Konsequenzen aus dieser Forschung für die angewandte Psychotherapie sprechen.
Wir schreiben gemeinsam und verfügen dabei über unterschiedliche Erfahrungen: Luise Reddemann als an Forschung interessierte erfahrene Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin, Jana Stasing als an Therapie interessierte junge Forscherin. Wir empfinden unsere Zusammenarbeit als inspirierend. Wenn wir von ganz eigenen Erfahrungen sprechen, schreiben wir „ich“ und in Klammern, wer spricht.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass wir es für sinnvoll erachtet haben, über das ganze Buch hinweg auf Therapiebeispiele zu verweisen, weshalb es kein eigenes Kapitel gibt, in dem es ausschließlich um Fälle geht.